Die “Business Practice meets Science” Reihe geht in die zweite Runde. Am 30. Oktober trafen sich Praxispartner und Forscher beim Partner Day des TechQuartier. Das Format präsentiert Ergebnisse, die durch gemeinsame Forschungsprojekte zwischen Praxispartnern aus der Wirtschaft und akademischen Forschern gewonnen werden. Prof. Dr. Michael Kosfeld vom Frankfurter Labor für Experimentelle Wirtschaftsforschung (FLEX) erklärte zu Beginn die Grundidee der Veranstaltung und die sich daraus ergebenden Perspektiven für beide Seiten. Forscher haben die Möglichkeit, wissenschaftliche Fragestellungen mit relevanten Daten aus der Praxis zu beantworten, während Praktiker die gewonnenen Ergebnisse nutzen und durch neue Perspektiven profitieren können.
Zum Bericht über den ersten Teil der Veranstaltungsreihe, bei der das Thema „Digital Economics“ im Mittelpunkt stand, geht es hier: Herausforderungen der Digitalisierung erfordern mehr Austausch zwischen Theorie und Praxis.
Vor rund 25 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus Forschung und Praxis stellten Prof. Dr. Oscar Stolper von der Universität Marburg und Prof. Dr. Florian Hett von der Universität Mainz konkrete Forschungsprojekte aus der Finanzbranche vor.
Im ersten Projekt (Birds of a Feather: The Impact of Homophily on the Propensity to Follow Financial Advice), erforschte Oscar Stolper, welche Rolle Übereinstimmungen zwischen Kunden und Finanzberatern bezüglich ähnlicher sozioökonomischer Merkmale wie Alter, Geschlecht, Familienstand etc. für die Abschlussquote bei Beratungsgesprächen spielen. Die Ergebnisse zeigen, dass demographische Ähnlichkeiten zwischen Beratern und Kunden einen Einfluss auf die Beratung haben. So ist bei Kundinnen die Abschlussquote bei Beratern oder Beraterinnen mit gleichem Familienstand und Kindern im Haushalt höher. Bei männlichen Kunden ist die Abschlussquote hingegen höher, wenn der Berater ebenfalls männlich und in derselben Altersgruppe ist.
Ein zweites Ergebnis konnte die Forschung in Bezug auf die Risikotragfähigkeit des Kunden feststellen. So zeigt sich, dass die Einschätzungen der Einstellung des Kunden zum Risiko auch vom Beratungsgespräch abhängen, und insbesondere vom Berater, der das Gespräch führt.
Der Faktor Mensch spielt demnach immer noch eine zentrale Rolle und hat in der persönlichen Finanzberatung weiterhin eine große Bedeutung gegenüber digitalen Möglichkeiten wie zum Beispiel „Robo Advice“. Die konkreten Ergebnisse bilden auch für die Praxis eine wichtige Grundlage, um Prozesse fundiert zu optimieren. Einerseits kann zum Beispiel die Abschlussquote durch eine gezielte Kunden-Berater-Zuordnung optimiert werden und Banken können ihren Recruitingprozess im Hinblick auf weitere mutmaßlich relevante Ähnlichkeitsdimensionen besser steuern. Andererseits sollte der Einfluss von Beratern auf gemessene Kundeneigenschaften bei der Einschätzung tatsächlicher Risikotragfähigkeiten berücksichtigt werden.
Florian Hett stellte in dem von ihm präsentierten Forschungsprojekt die Frage, warum sich private Haushalte in ihrem finanziellen Wohlstand unterscheiden. Um dieser Frage auf den Grund zu gehen verfolgen die Forscher verschiedene Ansätze: z.B. welche Ausgaben haben die entsprechenden Personen, wann und warum verwenden sie Kredite, oder wie viel sparen und investieren sie? Durch eine Kooperation mit einem Fin-Tech haben Florian Hett und sein Team Zugriff auf Kundentransaktionsdaten, die die Analyse dieser Mechanismen ermöglichen. Dabei untersuchen sie, wie konsistent Kunden ihre Konsumausgaben tätigen. Abhängig von den Gehaltszahlungen werden Personen als eher „ungeduldig“ oder „geduldig“ bezeichnet, je nachdem wie stark sich ihr Konsum nach eingehenden Gehaltszahlungen erhöht. Der durchschnittliche Anstieg liegt dabei bei ca. 20%. Optimal wäre aber eigentlich eine gleichmäßige Verteilung über den ganzen Monat.
Weiterführende Analysen liefern dabei erneut konkrete Hinweise und Erkenntnisse für die Praxis. So zeigt sich, dass besonders ungeduldige Individuen auch systematisch häufiger auf teure Dispokredite zurückgreifen und somit langfristig ihre finanzielle Situation verschlechtern. Entsprechend könnten gerade solchen Kunden bessere Produkte angeboten werden, mithilfe derer sie ihre suboptimale Konsumplanung anpassen bzw. ausgleichen können. Die vollständige Publikation zum Forschungsprojekt ist unter folgendem Link einsehbar: Measuring Time Inconsistency Using Financial Transaction Data.
Der spezialisierte Fokus der Veranstaltung war für alle Beteiligten eine Bereicherung. Sebastian Schäfer vom TechQuartier betonte, dass sich das Format etabliert hat und unbedingt weitergeführt werden sollte.
19.11.2019 – Paula Sophia Schmidt-Lüer